Stabilisierende Angebote für junge psychisch kranke Menschen und die Sozialpsychiatrie und in Psychiatrischen Tagesstätten

Ein Text von Georg Knufmann
Leitung Sozialpsychiatrische Dienste Ebersberg

Zum Ende unserer Beitragsreihe veröffentlichen wir in diesem Beitrag  nochmal den kompletten Text. Ein herzlicher Dank gilt Herrn Knufmann, der uns diese Informationen zur Verfügung gestellt hat.

Klimawandel, der Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Corona-Pandemie, all das führt zusammen zu hohen psychischen Belastungen für junge Menschen. In einer digitalen Welt erwachsen zu werden heißt auch, Katastrophen dieser Welt im Sekundentakt auf dem Smartphone und in sozialen Medien intensiv mitzuerleben.

Wie sich Krisen auf die eigene seelische Gesundheit auswirken, haben viele während der Pandemie erfahren. Die psychische Belastung der 14 – 29jährigen in den vergangenen Jahren ist deutlich gestiegen. Junge Menschen vor allem während der Corona-Pandemie, die immer noch andauert, haben das Gefühl, einen Kontrollverlust erlitten zu haben. Fast die Hälfte der Befragten gaben in Untersuchungen an, unter Stress zu leiden, ein Drittel klagt über Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Hilflosigkeit und depressive Verstimmungen. Diese große Belastung ist für die junge Generation in dieser Form ungewöhnlich.

Nach einer Studie der Universität Leipzig hat sich die Wartezeit für einen Therapieplatz von 3 auf 6 Monate verlängert. Eine Erhebung der Krankenkassen zeigt, dass 2021 verglichen mit 2020 insgesamt 42 % mehr Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren wegen emotionaler Störungen, darunter Depressionen und Angststörungen in Kliniken eingewiesen wurden.

Psychische Belastungen treffen vor allem diejenigen, die bereits vor der Pandemie sozial benachteiligt waren. Das Risiko, den Anschluss an die Gesellschaft zu verlieren, ist bei einem Viertel der 14 bis 29jährigen gegeben, darunter fallen vor allem diejenigen mit niedrigem Bildungsstand und ökonomisch schlecht aufgestellten Elternhäusern, was oft stark zusammenhängt. Gesellschaftliche und individuelle Risiken überlagern sich: Armutsrisiken, bezahlbaren Wohnraum finden etc. bilden zusätzliche Stressoren. Auch das Ende des vertrauten auf dem Konsum fossiler Energie basierender Wachstumsversprechen erfordert eine Neuorientierung.

Klimakrisen, der völkerrechtswidrige Angriffskrieg, die Energiekrise, die wirtschaftlichen Probleme in Folge dieser Tatsachen münden auch in eine Wirtschaftskrise und damit auch in den Verlust bisher bekannter ökonomischer Sicherheit.  Erwartet uns als nächstes eine gravierende Eurokrise mit neuen Verwerfungen? Neue Fluchtbewegungen werden ausgelöst durch den Hunger in der Welt,  laut jüngsten Meldungen sin  derzeit 840 Millionen Menschen  von Hunger bedroht.

Sensibel für Krisen zu sein muss aber nicht immer schlecht sein, für psychisch Kranke und schwer belastete junge Erwachsene kann dies auch Chancen bedeuten; ich werde mich in meinem Vortrag auf die Grundlagen und Voraussetzungen für stabilisierende Angebote konzentrieren und den Rahmen für die Tagesstättenarbeit auch in Ebersberg beschreiben.

Jede Generation hat ihre besonderen Spezifika. Ging es früher häufig ums reine Überleben, so spielen bei den jüngeren Generationen eher Selbstverwirklichungsaspekte eine zentrale Rolle.

Heute umfasst eine Generation ungefähr 15 Jahre, diese Abgrenzung wurde gezogen, da Generationen schon nach dieser Zeit andere Wertvorstellungen haben.

Diese idealtypische Einteilung in Generationen ist sicher ein Stück  populärwissenschaftlich, ist aber ein Versuch, sich verändernde Sozialisationsbedingungen zu fassen und zu beschreiben.

  • Die Kriegs-/Nachkriegsgeneration

Angst, Unsicherheit und traumatisierte Kriegsrückkehrer führten bei vielen Angehörigen dieser Generation zu emotionalen Blockaden und oft geringem Selbstwertgefühl. Die Erfahrungen der Kriegs-/Nachkriegsgeneration prägten auch den Erziehungsstil dieser Generation und damit auch die Generation der sog. „Baby-Boomer“.

  • „Baby-Boomer“-Generation

Die „Baby-Boomer“-Generation umfasst die Jahrgänge 1950 bis 1964, da deren Mitglieder zu Zeiten stark steigender Geburtenraten nach dem 2. Weltkrieg geboren worden sind. Sie ist die erste Generation, die im Zuge des Wirtschaftswunders die Vorzüge der Massenproduktion von Gütern wie Autos und Kühlschränken kennenlernte. Ihre Prägung ist vor allem durch Wirtschaftswachstum und sich schnell verbessende Lebensumstände gekennzeichnet, aber auch durch viele Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt.  Aus dem Arbeitsmarkt werden in den kommenden Jahren die letzten Vertreter der „Baby-Boomer“-Generation austreten; vermehrt sind viele davon bereits im Ruhestand.

  • Generation X

Die Generation X steht für die Jahrgänge 1965 bis 1980 und ist in der Arbeitswelt die Generation, die derzeitig den Takt angibt. Der Großteil der Positionen im Management werden durch die Mitglieder der Generation X bekleidet. Ihre Vorstellungen von Arbeit prägen die derzeitige Arbeitswelt am meisten, sie unterscheidet sich jedoch auch stark von den jüngeren Generationen, die danach folgten. Die Mitglieder der Generation X sind eher individualistisch geprägt und legen verstärkten Wert auf einen hohen Lebensstandard, aber auch genügend Freizeit neben dem Beruf.

  • Generation Y

Zwischen 1981 und 1994 geborene werden als Generation Y bezeichnet. Das Y steht für „Why“. Die hier aufgewachsenen jungen Erwachsenen  – auch in der Arbeitnehmergeneration der Generation Y – zeichnete sich wie noch keine Generation zuvor durch die Suche nach einem tieferen Sinn in der Arbeit aus. Ihre Wertausrichtung ist leistungs- und karriereorientiert. Sie fordern von Arbeitgebern Flexibilität und Work-Life-Balance. Mitglieder dieser Generation wurden die ersten Digital Natives, sie erlebten in jungen Jahren die Verbreitung des Internets. Viele von den jüngeren Menschen konnten sich lange nicht entscheiden, was sie werden wollten und stiegen auch später in den Beruf ein. Die Generation Y hat sich noch mit großer Praktikumserfahrung beworben. Die jetzige Jugend passt nicht mehr in das Bild der Generation Y, die aktuellen Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind nicht nur Digital Natives, sie sind Social Media Natives und bilden die sogenannte Generation Z.

  • Generation Z

Die Generation Z umfasst die Jahrgänge 1995 bis 2010, ein Teil dieser Jugendlichen ist also schon im Beruf, der Großteil aber noch in Ausbildung oder Studium. Die Generation Z profitiert stark vom demografischen Wandel, zukünftig werden viele Stellen für verhältnismäßig wenige Jugendliche frei sein. Oft kommen junge Erwachsene der Generation Z aus relativ behüteten Verhältnissen ohne nennenswerte materielle Zukunftsängste. Oft ist das Auffangnetz der Eltern direkt unter ihnen und lange für sie da. Die Generation Z vertritt eigene Werte. Heute wird mehr Wert darauf gelegt, das eigene Leben zu genießen, früher standen an dieser Stelle Werte wie Fleiß und Gehorsam. Die heutigen jungen Erwachsenen definieren sich nicht nur über die Arbeit, sondern auch über die Qualität ihrer Freizeit wie Hobbies, Reisen, Mode, Lifestyle und teilen das mit Gleichaltrigen. Die eigene Familie gewinnt wieder an Bedeutung. Für Frauen scheint die eigene Familie nach wie vor wichtiger als für Männer, aber die Geschlechter nähern sich an; insgesamt ist für die Generation Z eine eigene Familie signifikant wichtiger als für die Generation Y.

Die Generation Z hat momentan gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, wenn nicht zu viele Handicaps ihr Leben belasten. Was die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aber auch wahrnehmen ist, dass sich alles sehr schnell ändert. Gestern war noch Smartphone, heute sprechen alle über KI (Künstliche Intelligenz), autonomes Fahren und 3-D-Druck usw.  Für den Arbeitsmarkt bedeutet das: Welchen Job soll man heute noch lernen und ist der in 10 Jahren noch wichtig? Wie weit wird der Klimawandel die Zukunft verändern und bedrohen? Die Welt und ihre Zukunft sind für die Generation Z auch komplex, ökologische Krisen spitzen sich zu, die Grenzen des Wachstums scheinen erreicht, zwei Jahre Corona-Pandemie haben gewohnte Sicherheiten auch der Globalisierung verstört, völkerrechtswidrige Angriffskriege und Bedrohungen autokratischer Systeme gefährdenden den Wunsch nach Frieden und Wohlstand.

Familie bedeutet für die Generation Z in erster Linie Sicherheit, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern hat sich stark gewandelt; heute sind Eltern oft eher Coach, Berater und Freund als autoritäre Erziehungsberechtigte. Eltern scheinen oft heute die wichtigsten Verbündeten für die jungen Erwachsenen zu sein. Junge Erwachsene der Generation Z grenzen sich immer weniger gegenüber den Erwachsenen ab. Von ihnen wird keine Gegenkultur angestrebt, die Mainstream werden könnte. Die Wertestruktur scheint sehr stark der Elterngeneration zu ähneln.

Zuspitzend könnte man sagen: Ausreichend Akku und W-LAN gehören für die Generation Z zu den zentralen Grundbedürfnissen.

Die dauerhafte Nutzung digitaler Medien hebt viele Raum- und Zeitgrenzen auf, die früher noch galten. Informationen und Programme sind rund um die Uhr erreichbar, wer jemanden  kontaktieren möchten, schreibt sofort und erwartet auch schnelle Antwort. Das Ausweiten solcher Möglichkeiten widerspricht traditionellen Strukturen der Schule, die z. B. Ordnung und Verbindlichkeit einfordert. Verbindlichkeit ist für die Generation Z kein Ziel, sondern eine Herausforderung, denn verbindlich zu sein und sich für eines zu entscheiden, lässt tausend andere Handlungsmöglichkeiten auf nur wenige schrumpfen.

Die Generation Z ist stark visuell geprägt. Ständige Ablenkung, kurze Aufmerksamkeitsspannen und das schnelle Herausfiltern aus vielen Informationen beeinflussen deren Wahrnehmung.

Ein kleines Beispiel aus der Welt des Musikkonsums: Bei Spotify werden die Songs auf den aktuellen Top-Playlists immer kürzer, vor wenigen Jahren lag die Durchschnittslänge z. B. bei Hip Hop, Rap etc. noch leicht über 4 Minuten, aktuell liegt der Durchschnitt bei 2 Minuten und 38 Sekunden. Man könnte annehmen, dass sich im Vorübereilen der Lebensentwürfe auch der gesamte Musikkonsum junger Menschen verändert in folgende Richtung:

Es geht heute bei der Musik deutlich weniger um das Erleben fremder Welten, um das „Eintauchen“, um Auseinandersetzung im Hörerleben mit sich und der Welt. Vielmehr wird heute Musik oft wahrgenommen als etwas, das das eigene Leben „sound tracken“ soll.

Deep Purple mit ihrem Stück „Child in time“ von 1970 war noch 10 Minuten und 28 Sekunden lang, es wurde versehentlich – überraschend auch für die Band – zu einer Hymne von Teilen der Protestbewegung, insbesondere in osteuropäischen Ländern.

Wer leitet diese Generation im digitalen Dschungel an und gibt ihr Werkzeuge an die Hand? Die Eltern sind es in der Regel nicht. Sie haben begrenztes Erfahrungswissen und sind teilweise mit der digitalen Welt überfordert.

Die Kehrseite dieser nahezu vollständigen digitalen Sozialisation ist die Kluft zwischen Realität und Online-Welt/Online-Profil. Je größer die Kluft, desto größer das Zerrbild, desto weniger kann in der Realität eingehalten werden, was online gezeigt wird. In vielen Fällen führt dies zu einer tiefen Unzufriedenheit. Nur wer Besonderes postet, bekommt Bestätigung und Anerkennung. Die wenigsten Menschen machen ständig besondere Dinge. Sich online deutlich besser, interessanter, schöner darzustellen ist die logische Folge und eine Enttäuschung ist vorprogrammiert im Kontakt mit der analogen Welt.

Ist die Gegenwart des eigenen Antlitzes der Beweis der Authentizität?

Und sie sind dennoch Variationen der persönlichen Suche nach einer Antwort auf die Frage, die wir uns alle stellen: „Wer bin ich?“ Das ist angemessen zu würdigen.

Einerseits ist das „Selfie“ der Inbegriff des Narzissmus und schnell auch eines zwanghaften Selbstdarstellungstriebes. Andererseits: Wenn wir ein „Selfie“ aufnehmen, versuchen wir also ein Ideal-Ich zu schaffen, nicht nur als ein Anwesenheitszertifikat, sondern als Beweis unserer Existenz. Die visuelle Geschichte über uns selbst auf den sozialen Plattformen soll ein weiteres sichern: Es werden all die Ungereimtheiten, Widersprüche und Ängste verdrängt, die sich bei jedem von uns über die Jahre ansammeln. Über die „Selfies“ inszenieren Menschen sich als kohärente Wesen. Dann ist für einen Moment die Welt weniger anstrengend, weniger widersprüchlich und mindert auch das Gefühl von Einsamkeit, Verlorenheit, Bedeutungslosigkeit für eine gewisse Zeit. So kann das „Selfie“ auch als digitale Überlebensstrategie und auch als Teil unseres Selbsterfahrungsprozesses betrachtet werden – in der Hoffnung, dass die anderen unsere Inszenierung mit Zuneigung belohnen werden. Damit ist das „Selfie“ mit großem sozialen Druck und Stress verbunden. Der damit verbundene Wunsch nach Zuneigung birgt immer auch die Gefahr der Zurückweisung in sich.

Je nachdem, in welchem Alter sie sich befinden oder welcher Generation sie sich zugehörig erkennen, Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene sind immer auch Gegenwart, aber auch Teil der der Zukunft unserer Gesellschaft und wir müssen auch in psychiatrischen Zusammenhängen die Analyse und das Verstehen-Wollen mit Neugier und eigener Sympathie betreiben.

Heißt altern, wie Simon de Beauvoir sagte, sich über sich selbst klar zu werden?

  • Die sechs zentralen Eigenschaften heutiger junger Erwachsener:
  1. „Scheinbar“ Selbstbewusst
  2. Familienorientiert
  3. Online individualistisch
  4. Offline konservativ
  5. Ungeduldiger
  6. Digital versiert

Die Generation Z ist von Geburt an digital, sie hat dadurch die Fähigkeit erworben, sekundenschnell Inhalte zu sichten, zu filtern und zu bewerten. Das beeinflusst lesen, lernen und entscheiden – und auch verzweifeln.

  • Die Folgegeneration trägt schon den Titel Generation Alpha, sie umfasst alle zwischen

2011 und 2025 Geborene. Die Generation Alpha wird deutlich stärker und selbstverständlicher digital vernetzt sein, als es die Generation Z heute schon ist.

Was gehört zur Kehrseite dieser westeuropäischen/deutschen gesellschaftlichen Sozialisation für junge Erwachsene ?

Betrachtet man den Online- und Social-Media-Konsum von jungen Erwachsenen, so konnte man während der Pandemie durchschnittlich 70,4 Stunden pro Woche Online-Tätigkeit feststellen oder anders ausgedrückt: 42 % ihres Tages verbrachten junge Menschen in der Online-Welt. Internetsüchte sind ein weit verbreitetes, aber noch nicht genug beachtetes Krankheitsbild. Die Aufmerksamkeitsspanne junger Menschen reduziert sich immer weiter und fördert daneben auch andere mit dem Internetkonsum verbundene psychische Erkrankungen und Folgen wie Angststörungen, soziale Unsicherheit oder Depressionen. Allerdings kann man das Smartphone schlecht aus dem Alltag verbannen; so würde man sich zwangsläufig ins analoge Abseits schießen: Kein Kontakt zur Internetgemeinde bedeutet auch Verzicht auf analogen Kontakt und die Kontaktmöglichkeiten dazu.

Eltern stehen heute vor einer schwierigen Situation: Einerseits wollen sie die digitalen Kompetenzen ihrer Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorantreiben, andererseits die negativen Auswirkungen der digitalen Welt einschränken. Digitale Nutzung müsste so weit gebremst werden, dass die junge Generation auch einmal ohne Smartphone eine Lösung für ihr Problem finden könnte. Hinzu kommt, dass viele Eltern fleißig mithelfen, dass sich ihre Kinder in der analogen Welt, der Welt ohne Internet nicht mehr auskennen. Sie erfüllen viele Wünsche ihrer Kinder, sie erziehen sie zudem oft über protektiv, d. h. sie sorgen dafür, dass ihren Kindern viel abgenommen wird, was in der analogen Welt  schwierig oder unangenehm wirkt.

Untersuchungen zeigen, dass in der Generation Z und der beginnenden Generation Alpha viele Grundkompetenzen der Selbstbeschäftigung, das Finden und Ansprechen von Freunden, das Erlernen von Selbständigkeit, mitunter einer richtigen Ausdrucksweise in vollständigen Sätzen, fehlen. Wächst hier eine Generation von jungen Erwachsenen heran, die Schwierigkeiten hat, ihr noch junges Leben zu bewältigen, die später im höheren Alter viele Dinge mühsam wieder antrainieren müssen, die vorherige Generationen im analogen Raum noch im Kindesalter gelernt haben?

Störungsbilder bei Jugendlichen und jungen Erwachsen haben rapide zugenommen:

Bis zum Jahr 2021 betrug der Anteil von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, bei denen innerhalb eines Jahres mindestens einmal eine psychische Störung diagnostiziert wurde, fast 30 %. Im Jahr 2019 wurde berichtet, dass bei begonnenen Psychotherapien Anpassungsstörungen der vorwiegende Grund waren und Reaktionen auf schwere Belastungen wie Mobbing oder eine Trennung der Eltern erfolgte. Der zweithäufigste Grund für Psychotherapien waren Depressionen mit über 20 %, gefolgt von Angststörungen mit über 15 %. Das Handy macht indirekt und damit stoffungebunden süchtig. In der Auseinandersetzung mit dem Smartphone, wenn wir beispielsweise Likes bekommen, werden körpereigene Hormone und Neurotransmitter produziert. Wir bekommen Likes und wir fühlen uns gut. Um uns weiterhin gut zu fühlen, greifen wir häufiger zum Smartphone – ein Teufelskreis.

Zur Internetsucht gesellte sich die Nomophobie:

Ein zu frühes und intensives Nutzen des Smartphones kann die Entwicklung einer Nomophobie begünstigen, also die Angst, ohne das Smartphone zu sein. Zu den Symptomen der Internetsucht gehören neben einer exzessiven und permanenten Beschäftigung mit der Online-Welt ein Kontrollverlust, Entzugserscheinungen, Gereiztheit, Ruhelosigkeit und Nervosität. Eine Toleranz entwickelt sich, d. h. dass der bereits exzessive Konsum immer weiter ausgedehnt werden muss, schließlich wird das eigene Denken und Handeln eingeengt, so dass nur noch Tätigkeit durchgeführt werden, die in der digitalen Welt stattfinden. Schrittweise kappt die Internetsucht damit die Verbindung zur analogen Welt.

Verhaltenstherapeuten klagen heute über fehlende Copingstrategien bei vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, d. h. die Bewältigungsstrategien, um mit einer schwierigen Situation umzugehen, sind nur gering vorhanden. In der Psychologie spricht man auch davon, dass die Resilienz – also die psychische Widerstandsfähigkeit – fehlt, d. h. es wurde schlicht nicht trainiert, mit Niederlagen, Schwierigkeiten oder Hindernissen umzugehen. Etwa 15 % der Eltern behüten ihre Kinder so sehr, dass diese später eine geringe Frustrationstoleranz und Resilienz aufweisen.

Keine Generation von jungen Menschen lässt bisher so viele Störungsbilder erkennen wie die heutige. Störungsbilder wie ADHS, Magersucht, Bulimie, Depressionen, Angststörungen oder Borderline treten immer öfter auf. Kinderpsychologen warnen vor überbehütendem Erziehungsstil: „Jugendliche und junge Erwachsene wissen zu wenig über andere Menschen und zu wenig über sich selbst. Sie wissen oft nicht, was es heißt, traurig oder frustriert zu sein, sie kennen deshalb oft wenig Mitgefühl mit anderen Menschen. Paradoxerweise kommen durch Überbehütung oft gleiche Verhaltensprobleme zustande wie bei einem vernachlässigendem Erziehungsverhalten.

Schon Studien aus den 1990ger-Jahren belegen, dass Kinder, die sehr früh und sehr lange ferngesehen haben, es später viel schwerer haben, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, also Empathie zu entwickeln. Man geht davon aus, dass durch die frühe und lange Smartphone-Nutzung und das Bewegen in Social-Media-Welten dieser Effekt sogar noch deutlich stärker zunehmen wird.

Fear Of Missing Out (FOMO) ist ein Begriff, der schon im Oxford-Dictionary steht. Social-Media-fixierte Menschen haben ständig Angst, ihnen könnte etwas entgehen und sie sind deshalb ständig digital aktiv. Hinzu kommt, dass die heutige Cyber-Gesellschaft durch die Aufmerksamkeits-Ökonomie gesteuert wird. Nur wenn wir im Netz aufmerksam sind, können wir auf die Interaktionen der anderen reagieren, die uns dann wiederum ihre Aufmerksamkeit schenken: Wer nichts postet, ist nicht existent. Es gibt im Cyber-Space auch Phänomene wie Verantwortungsdiffusion, das beschreibt, dass Einzelne sich weniger für ihr Handeln verantwortlich fühlen, wenn sie Teil einer Gruppe sind; dies gilt für die reale Welt, aber erst recht für den Cyber-Space. Mobbing anderer ist vielfach die Folge, auch durch die tatsächliche oder gefühlte Anonymität des Internets.

Porno und die analoge Welt:

Die meisten Erstnutzer pornografischer Anbieter sind weit unter 23 Jahren. Was macht das mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen? Es findet in der Regel keine Supervision, kein Besprechen, kein Aufklären statt. Völlig auf sich gestellt müssen Jugendliche in der Cyber-Welt erwachsen werden, während sie oft gleichzeitig in der analogen Welt von ihren Eltern überbehütet, verwöhnt oder vernachlässigt werden. Forscher sehen zum Teil eine direkt positive Korrelation zwischen Pornokonsum und Angstzuständen, Einsamkeit, depressiven Symptomen und der Ungeübtheit respektvoller erotischer Erfahrungen in der analogen Welt mit realen Partner*Innen zu beginnen.

Im klinischen Alltag und im Beratungsalltag ist gute  Psychiatrie immer Sozialpsychiatrie. Schon in der Akutbehandlung gilt es, milieutherapeutische Gesichtspunkte zu berücksichtigen, Medikation auf das notwendige Maß zu reduzieren; die Wirkung der Medikation ist in hohem Maße von subjektiven Bedeutungen und sozialen Faktoren mitbestimmt, Non-Compliance, also die misslingende Kooperation seitens der Patienten hängt auch von der Arzt-Patient-Interaktion und von der therapeutischen oder beratenden Beziehung ab.

Entscheidend für eine langfristige Stabilisierung sind:

  • Die Integration des Erlebten im biografischen Zusammenhang des eigenen Lebens
  • Die Nachreifung und Stärkung der eigenen Identität
  • Die Weiterentwicklung sozialer Kompetenzen
  • Das Zurückgreifen-Können auf soziale Ressourcen
  • Das Aufgehoben-Sein in einem Netz aus Beziehungen, Aufgaben, Verantwortlichkeiten, Bindungen
  • Angemessene Beziehungsgestaltung und Nähe-Distanz-Regulation
  • Angemessener Umgang mit Affekten und Selbstkontrolle
  • Selbstreflexion und Entwicklung von antizipativem Denken
  • Balance zwischen Abhängigkeit und Selbständigkeit
  • Beachtung von Gemeinschaftswerten

Als weitergehende Entwicklungsaufgaben eines gelingenden Lebens können gelten:

  • Entwicklung einer angemessenen Identität
  • Stärkung des Selbstwertgefühls durch Learning by doing
  • Unabhängigkeit von Eltern und anderen Erwachsenen
  • Aushandeln und akzeptieren von Regeln
  • Selbstsicherheit und Selbstkontrolle
  • Entwicklung empathischer Fähigkeiten
  • Entwicklung von Toleranz und Konfliktlösungskompetenz
  • Abbau von Vorurteilen und Differenzierung von eigenen Bewertungskriterien
  • Aufnahme und Aufbau intimer Beziehungen
  • Vorbereitung auf Heirat und Familienleben oder andere Formen des Zusammenlebens
  • Berufswahl und Berufsvorbereitung
  • Aufbau einer ökonomischen Unabhängigkeit und Zukunftsperspektive
  • Bereitschaft und Fähigkeit zu sozial verantwortlichem Verhalten
  • Erwerb der Eigenschaften eines engagierten Bürgers wie Werte, Normen, bürgerschaftliches Engagement, Demokratiebewusstsein
  • Diskurs- und Konsensfähigkeit

Eine schier nicht zu bewältigende Fülle von Aufgaben unter den heutigen Bedingungen moderner Gesellschaften. Viele junge Erwachsene bauen schon in der Phase der Adoleszenz befriedigende Beziehungen auf und gehen erste Liebesbeziehungen ein. Einer steigenden  Zahl junger Erwachsener gelingt dies jedoch nicht, sie geraten in Identitätskrisen, die lange andauern können. Kontrolle über das eigene Lebensvorhaben ist aber unverzichtbar, um ein positives Selbstbild beibehalten zu können. Wenn nun junge Erwachsene wiederholt die Erfahrung machen, negative Ereignisse nicht kontrollieren zu können, fühlen sie sich hilflos, sind resigniert, werden sich zukünftig passiv verhalten oder entwickeln auch viel Wut und Widerstandsgeist. In der psychosozialen Arbeit mit jungen Erwachsenen ist es daher wichtig, Beziehungskompetenzen zu fördern, um eine soziale Isolation zu vermeiden.

Die Situation junger Erwachsener in der Psychiatrie

Immer mehr junge Erwachsene sind in psychiatrischer Behandlung. Trotz steigendem Hilfebedarf gibt es jedoch erst wenige Konzepte, die speziell an die Bedürfnisse junger Patienten*Innen angepasst und vernünftig vernetzt sind. Psychisch erkrankte junge Erwachsene können oft keinen Sinn mehr in ihrem Leben erkennen, so dass ihnen für die anstehenden Entwicklungsaufgaben Ressourcen fehlen. Sie haben den Eindruck, dass es nichts bringt, sich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen, stattdessen nehmen sie an, von vornherein als „nicht normal“ abgestempelt zu werden. Sie fühlen sich nicht dazugehörig, ziehen sich zurück und isolieren sich.

Erhöhtes Risiko für psychische Störungen durch

  • Niedriger sozioökonomischer Status der Familie
  • Bildungsferne
  • Alleinerziehender Elternteil
  • Psychische Erkrankung eines Elternteils
  • Niedriger Bildungsabschluss der Eltern
  • Fremduntergebrachte Kinder
  • Kinder in Schulen für Erziehungshilfe

Riskante Konsummuster verschärfen die Situation

  • Cannabiskonsum, Designeredrogen
  • Riskanter Alkoholkonsum
  • Rauschtrinken

Stabilisierende Hilfen für junge psychisch kranke Erwachsene erfordern notwendigerweise entwicklungspsychologische und klinisch entwicklungspsychopathologische Neubewertungen des Übergangs ins Erwachsenenalter und der Versorgungsbedürfnisse.

Im 1. Bayerischen Psychiatriebericht wird die 12-Monats-Prävalenz einer psychischen Störung in Deutschland für Menschen zwischen 18 und 34 auf 36,7 % gesamt angegeben, davon 43,0 % Frauen und 30,1 % Männer.

Bei den 12-Monats-Prävalenz-Zahlen psychischer Störungen gibt es für die Gruppe der jungen Erwachsenen nicht wirklich eindeutige Zahlen, aber es dürfte sich aktuell etwa um folgende Werte handeln:

12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen

  • Ess-Störungen 3 %
  • Körperlich bedingte psychische Störungen 2%
  • Medikamentenmissbrauch/Abhängigkeit 2 %
  • Posttraumatische Belastungsstörung 3 %
  • Psychotische Störungen 2,4 %
  • Bipolare Störungen 3 %
  • Somatoforme Störung 4 %
  • Zwangsstörungen 4,5 %
  • Unipolare Depression 10 %
  • Alkoholstörungen 12 %
  • Angststörungen 17 %

Immer mehr junge Erwachsene sind in psychiatrischer Behandlung. Trotz steigendem Hilfebedarf gibt es jedoch erst wenige Konzepte, die speziell an die Bedürfnisse junger Patienten*Innen angepasst und vernünftig vernetzt sind. Psychisch erkrankte junge Erwachsene können oft keinen Sinn mehr in ihrem Leben erkennen, so dass ihnen für die anstehenden Entwicklungsaufgaben Ressourcen fehlen. Sie haben den Eindruck, dass es nichts bringt, sich für eine Verbesserung ihrer Situation einzusetzen, stattdessen nehmen sie an, von vornherein als „nicht normal“ abgestempelt zu werden. Sie fühlen sich nicht dazugehörig, ziehen sich zurück und isolieren sich.

Erhöhtes Risiko für psychische Störungen durch

  • Niedriger sozioökonomischer Status der Familie
  • Bildungsferne
  • Alleinerziehender Elternteil
  • Psychische Erkrankung eines Elternteils
  • Niedriger Bildungsabschluss der Eltern
  • Fremduntergebrachte Kinder
  • Kinder in Schulen für Erziehungshilfe

Riskante Konsummuster verschärfen die Situation

  • Cannabiskonsum, Designeredrogen
  • Riskanter Alkoholkonsum
  • Rauschtrinken

Stabilisierende Hilfen für junge psychisch kranke Erwachsene erfordern notwendigerweise entwicklungspsychologische und klinisch entwicklungspsychopathologische Neubewertungen des Übergangs ins Erwachsenenalter und der Versorgungsbedürfnisse.

Im 1. Bayerischen Psychiatriebericht wird die 12-Monats-Prävalenz einer psychischen Störung in Deutschland für Menschen zwischen 18 und 34 auf 36,7 % gesamt angegeben, davon 43,0 % Frauen und 30,1 % Männer.

Bei den 12-Monats-Prävalenz-Zahlen psychischer Störungen gibt es für die Gruppe der jungen Erwachsenen nicht wirklich eindeutige Zahlen, aber es dürfte sich aktuell etwa um folgende Werte handeln:

12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen

  • Ess-Störungen 3 %
  • Körperlich bedingte psychische Störungen 2%
  • Medikamentenmissbrauch/Abhängigkeit 2 %
  • Posttraumatische Belastungsstörung 3 %
  • Psychotische Störungen 2,4 %
  • Bipolare Störungen 3 %
  • Somatoforme Störung 4 %
  • Zwangsstörungen 4,5 %
  • Unipolare Depression 10 %
  • Alkoholstörungen 12 %
  • Angststörungen 17 %

Nachreifung und Autonomieförderung unter Berücksichtigung des Grades der Selbständigkeit, der Selbstbestimmung zu Fragen der Sexualität und Beziehungsaufnahme

Kennzeichen für sozialkompetentes Verhalten  und Ansatzpunkte für Beratung, Therapie, Skills-Training sind

  • Kommunikative und kontextspezifische Komponenten wie Zuhören, Gespräche beginnen und aufrechterhalten können
  • Standpunkte einnehmen und sich abgrenzen können
  • Die eigene Selbstkontrolle weiter entwickeln können
  • Mit Ambivalenzen umgehen können
  • Widerspruch und Kritik offen äußern können
  • Auf Kritik angemessen reagieren können
  • Rechtzeitig um Hilfe bitten können
  • Nein sagen und Grenzen setzen können
  • Empathie entwickeln können

Junge Erwachsene können nur dann Beziehungen zu anderen Personen eingehen, wenn sie eine Vorstellung von sich selbst, von ihrem Leben entwickelt haben und einigermaßen selbstbestimmt handeln können. Ansonsten besteht die Gefahr, mit der Partnerin oder dem Partner zu verschmelzen oder sich überfordert zurückzuziehen. Oft fühlen sich junge Menschen minderwertig, missachtet oder wertlos. Stabilisierende Hilfen können die Betroffenen auf ihrer langen und bisweilen beschwerlichen Reise begleiten und sie im Alltag darin unterstützen, ihr eigenes Leben so zu gestalten, dass sie immer selbstsicherer werden.

Wichtige Grundannahmen von Skills- und Kompetenztrainings

Psychisch kranke  und belastete junge Menschen

  • haben oft keinen Plan, wie sie eine Veränderung ihrer Lebenssituation erreichen können
  • Junge Erwachsene sind bestrebt, das Beste aus ihrer schwierigen Situation zu machen, wenn man sie unterstützt.
  • Sie brauchen dafür ein nützliches Handwerkszeug und ein Übungsfeld
  • Sie haben ihre Schwierigkeiten oft nicht selbst verursacht, aber sie müssen diese selbst lösen.
  • Mit Hilfe der Skills- und Kompetenztrainings können sie neues Verhalten in allen Lebensbereichen einüben.

Was heißt das in Annäherung an das konkrete Handeln:

bei psychisch auffälligen jungen Erwachsenen ist es wichtig, dass sie  lernen, Defizite auszugleichen, um mit Veränderungen und Krisen umzugehen, indem sie kleine Aufgaben bewältigen und Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Hilfreich kann ein Tagesplan sein, in dem wichtige Elemente wie regelmäßiges Aufstehen, Wäsche waschen oder Einkäufe erledigen als Teilziele festgelegt sind. Mit Hilfe der Trainings gelingt es jungen Menschen eher, Kontakte zu anderen Menschen einzugehen, eigene Interessen zu entwickeln und Dinge zu tun, die ihnen Spaß machen und Glücksmomente verschaffen. Sie üben, sich selbst zu belohnen, wenn sie ein Problem erfolgreich bewältigt haben, und einen Mittelweg zwischen Aktivität und Passivität zu finden. Dies ist wichtig, um mit Phasen von Alleinsein und Rückschlägen umgehen zu können. Durch ihre erworbenen Fähigkeiten merken junge Erwachsene, dass es sich lohnt, die Herausforderungen der heutigen Welt anzugehen.

Die Entwicklungspsychologie hat den Begriff Emerging  adulthood eingeführt und bezeichnet damit den Lebensabschnitt im Alter von 18 bis 25 Jahren (manchmal auch bis 30).

In diesem Zeitraum sind junge Menschen nicht mehr Jugendliche, aber  auch oft noch nicht Erwachsene.

Dies findet zunehmende Aufmerksamkeit in der soziologischen und entwicklungspsychologischen Forschung. Er beschreibt die verlängerte Entwicklungszeit junger Erwachsener und kennzeichnet 5 Merkmale, die es als eigenständige Entwicklungsperiode abgrenzen.

  • Phase der Exploration von Identität – Wer und was will ich sein?
  • Phase der Instabilität – Ausprobieren verschiedener Lebensstile
  • Phase des Selbstfokus – ohne Zwänge von Ehe und Kindern
  • Phase des in-between-Sein – nach noch unvollständiger Verantwortungsübernahme
  • Phase des Glaubens an Möglichkeiten und neuen Chancen

Der Begriff Emerging adulthood umfasst auch die widersprüchlichen Anforderungen bei der biologischen, emotionalen und mentalen Reifeentwicklung. In einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche kommen zunehmend komplexere Entwicklungsaufgaben auf die jungen Menschen zu.

Dazu gehören:

  • Eintritt in den Beruf
  • Loslösung von der Familie
  • Wohnungssuche und Gründung eines Hausstandes
  • Bedeutung und Gefahr sozialer Netzwerke
  • Konsumzwänge
  • Genderproblematik und ein Sich-Zurechtfinden in Hetero-, Homo-, Bi- und Transsexualität
  • Neue Formen der Partnerwahl

In der Lebensphase „Emerging adulthood“ sollen junge Erwachsene ihre Reifeentwicklung weitgehend abgeschlossen haben. Im näheren Umgang mit ihnen zeigt sich jedoch häufig, dass sie in vielen Bereichen noch unselbständig sind und ihnen wichtige lebenspraktische Grundlagen fehlen.

Kennzeichen einer adäquaten Reifenentwicklung:

  • Angemessene Beziehungsgestaltung und Nähe-Distanz-Regulation
  • Angemessener Umgang mit Affekten und Selbstkontrolle
  • Selbstreflexion und Entwicklung von antizipativem Denken
  • Balance zwischen Abhängigkeit und Selbständigkeit
  • Beachtung von Gemeinschaftswerten

Die Erwachsenenpsychiatrie mit ihren bisherigen Behandlungskonzepten erreicht die Gruppe der jungen psychisch kranken Menschen oft nicht mehr. Bei jungen Menschen besteht oft ein enger Zusammenhang zwischen psychischen und körperlichen Erkrankungen und ihrer Lebenssituation. So können ungewisse Zukunftserwartungen und Erfahrungen des Scheiterns die Ursache für Panik- und Angststörungen sein, die sich in körperlichen Symptomen wie Magenschmerzen oder Erbrechen niederschlagen. Um junge Erwachsene angemessen versorgen und die Behandlungskonzepte an ihre spezielle Situation anpassen zu können, bedarf es der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Psychotherapeut*Innen, Ärzten*Innen, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Erwachsenenpsychiatrie und der Jugendhilfe selbst. Fegert und Kollegen (2009) fordern, den 18. Geburtstag als Stichtag für die künstliche Trennung der Lebensperioden abzuschaffen, denn junge Erwachsene wechseln die Behandlungssysteme heute innerhalb der Adoleszenz.

Faktoren, die den Zugang zu jungen Erwachsenen in unserer Arbeit  erschweren:

  • Negative Bilder über die Psychiatrie
  • Negative Vorerfahrungen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
  • Ängste vor Etikettierung, Beschämung und erfahrenes Mobbing
  • Erfahrungen von geschlossenen Unterbringungen
  • Erfahrungen, ihre Geschichte zum wiederholten Male erzählen zu müssen

Faktoren,  die den Zugang erleichtern:

  • Den jungen Erwachsenen in seiner Situation verständnisvoll wahrnehmen
  • Ihre Probleme nicht moralisierend oder wertend ansprechen
  • Im Gespräch aus den gegebenen Problemen Lösungsvorschläge entwickeln
  • Anerkennung ihrer bisherigen Versuche zur Lebensbewältigung
  • Neue Sichtweisen für eine erfolgreiche Lebensstrategie entwickeln
  • Vorgesehene Behandlungs- und Beratungsschritte offen darlegen
  • Ihnen einen positiven Umgang mit Kritik vermitteln
  • Wahrung ihrer Persönlichkeitsgrenzen durch vereinbarte Stopp-Signale
  • Einholen ihrer Erlaubnis bei vorgesehenen Übungen
  • Anstelle einer Isolierung der Symptome von ihrem Alltagskontext werden auch Lösungen in eben diesem Kontext gesucht
  • Der Behandlungsfokus orientiert sich an der Entwicklung der Person , um sie zu befähigen, ihre Probleme zu lösen
  • Wichtige Personen aus dem sozialen Umfeld werden einbezogen, um die Entwicklung zu unterstützen.

Je komplexer eine Gesellschaft, desto länger ist die Entwicklungsphase der Adoleszenz,  also des Erwachsenwerdens.

Lassen Sie mich das Thema stabilisierender Angebote am Beispiel von Menschen mit Psychosen verdeutlichen:

Was braucht ein verwirrter Mensch, um zur Ruhe zu kommen und um sich stabilisieren zu können? Sich in der klassischen Patientenrolle immer wiederzufinden, verbessert sicherlich nicht das Selbstwertgefühl eines Menschen in Krisen. Hilfreich  sind sichere, nicht ständig wechselnde Bezugspersonen, eine mit dem Klienten gut vereinbarte Medikation im Bedarfsfalle und immer wieder ein Ringen um Begegnung und Beziehung, z. B. auch in einer beratenden Situation oder auch in der Tagesstätten-Arbeit. Menschen in psychotischen Krisen sind existenziell verunsichert, sehr mit sich selbst beschäftigt und gleichzeitig hochsensibel für die Art, wie ihnen Hilfe entgegengebracht wird.

Ich darf hier Thomas Bock,  (Menschen mit Psychose-Erfahrung begleiten 2020) dessen Arbeit ich sehr schätze, zitieren:

„Klienten/Patienten registrieren genau, ob die Grundvoraussetzung einer hilfreichen Beziehung, ob Respekt und wirkliches Interesse vorliegen. Stereotype Behandlungstechniken jedweder Art haben wenig Chancen wirksam zu werden – sie prallen ab. . . . .

Inzwischen hat die Psychotherapie einen wichtigen Stellenwert, haben alle psychotherapeutischen Schulen wesentliche Aspekte zu Verständnis und Behandlung beigetragen. Auch die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung hängt wesentlich davon ab, dass nicht nur die Chemie des Wirkstoffs, sondern auch die „Chemie der Beziehung“ stimmt. . . . .

Lange galt die Regel der Enthaltsamkeit für Psychotherapeuten*Innen unangefochten: „Wir sollten nichts von uns preisgeben, entweder um die Übertragungsmechanismen nicht zu beeinflussen (Tiefenpsychologie) oder um uns selbst nicht zu irritieren (Verhaltenstherapie). . . .

Ein spürbares Gegenüber zu sein hilft bei der Orientierung und bei der Festigung der eigenen personellen Grenzen. Aus der klinischen Praxis kennen wir alle Situationen, in denen eine spontane authentische Bemerkung im richtigen Moment ein erstaunlich positives Echo auslösen kann, während ausgeklügelte Veränderungsstrategien immer auch Abwehr und Trotz mobilisieren können – ja, vielleicht sogar müssen, um nicht Objekt einer Behandlung zu werden, sondern Subjekt zu bleiben.“

Viele Helfer in der psychiatrischen Szene haben eigene Krisenerfahrung oder durchaus auch psychische Erkrankungen, das ist ein allgemeines Lebensrisiko für uns alle. Es geht natürlich nicht darum, Klienten*Innen mit eigener Lebensproblematik der BeraterInnen  zu belasten. Die möglichen Lebenskrisen oder die eigene Brüchigkeit eigener Lebenserfahrungen zu reflektieren, kann eines sehr gute Voraussetzung sein, Beziehungen zu psychotisch erkrankten Klienten symmetrischer zu gestalten, ihnen das Gefühl von Beschämung und sozialen Gefälles zu reduzieren und  Selbstwirksamkeit zu fördern.

Wir beschäftigen seit vielen Jahren EX-IN-Genesungsbegleiter*Innen in unserem Beratungsdienst und auch in unserer psychiatrischen Tagesstätte mit Erfolg. EX-IN-Ausbildung und sogenannte Peer-Arbeit mit Experten aus immer wieder eigener Krisenerfahrung entlasten Klienten vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erfahrung und ermöglichen vertrauensvollen Zugang, mehr Selbstwirksamkeit und damit auch das Zutrauen, es schaffen zu können.

Empowerment:

Empowerment bezeichnet die Selbstbefähigung von psychisch kranken Menschen, aber durchaus auch von Helfer*Innen und den Abbau auch institutioneller Fremdbestimmung durch psychiatrische Einrichtungen oder Heime. Empowerment bedeutet, mehr Gestaltungsmöglichkeiten über das eigene Leben zurück zu gewinnen.

Recovery:

Recovery bezeichnet den Prozess von Gesundung und Genesung. Gesundheit ist hier allerdings mehr als die Abwesenheit von Krankheit, schließt Fragen ein, was hilft dabei, gesund zu bleiben, was hilft auch ein weitgehend zufriedenes oder gar erfülltes Leben auch mit Restsymptomen zu führen? Hier sollten psychiatrisch Tätige Selbsthilfenetzwerke fördern, Peer-Beratung, familiäre Hilfen und sozialraumorientierte Maßnahmen einschließlich sinnvoller Arbeit und Beschäftigung und eine durchaus an psychotherapeutischen Kriterien orientierten Beratung.

Dies sind auch sozialpsychiatrische Haltungen in unseren Ebersberger Diensten. Wir orientieren uns auch mit unseren Möglichkeiten an Formen von „need-adapted-treatment“ (bedürfnisangepasste Behandlung), einer Hilfeform mit psychoanalytischen und systemischen Grundlagen, die Biografie-orientierte Bedeutungen einer psychischen Erkrankung berücksichtigt in Einzel- oder Familientherapie, aber auch in einer angemessen Pharmakotherapie im Netzwerk der BehandlerInnen und auch sogenannten Therapie- oder Netzwerkversammlungen, an denen Klient, Familienangehörige und auch zuständige Therapeuten*Innen und Bezugspersonen beteiligt sind. Auch Genesungsbegleiter können dabei eine wichtige Aufgabe erfüllen im vorwiegend ambulanten Setting, gerade auch beim sogenannten Home-Treatment.

Progressive Muskelentspannung

  • Yoga und Bewegung
  • Selbstmanagement-Training/Selbstsicherheitstraining
  • Achtsamkeitstraining
  • Kognitives Training
  • Angehörigenarbeit
  • Psychoedukative Angebote zu Fragen von Doppeldiagnosen bei psychischer     Erkrankung und Suchtmittelmissbrauch
  • Erlebnispädagogische Angebote wie Klettern, Bouldern
  • Familiengespräche und Netzwerkversammlungen mit Klienten*Innen, Angehörigen, Bezugspersonen, Berater*Innen
  • Umgang mit Krisen vorbereiten, Krisenpläne erstellen
  • Krisendienst Psychiatrie rund um die Uhr, in Oberbayern seit 2016
  • Gruppe Digitale Welten für einen besseren Umgang mit Möglichkeiten und Gefahren im Umgang mit Internet und Social Media, Handysprechstunde, Digitaler

Stammtisch

  • Traumatherapeutische und traumapädagogische Ansätze in der Einzel- und in der Gruppenarbeit
  • EX-IN-PEER-Beratung, in Einzelberatung, und Gruppen, Jobcoaching zur           Vorbereitung von Ausbildung und Beruf in Zusammenarbeit mit z. B. Jobcenter und Arbeitsagentur oder Firmen des zweiten Arbeitsmarktes, wie diakonia GmbH,   Integrations- und Zuverdienstbetrieb Ebersberg und München
  • Kunsttherapeutische Angebote
  • Förderung von Selbsthilfe und Hinführung zu geeigneten Selbsthilfegruppen oder offenen Gesprächsangeboten wie die neuen Schwarmgespräche und Mitarbeit an    einem Portal Selbsthilfe Ebersberg
  • Projekt Psychisch kranke Eltern und ihre Kinder, Jugendlichen, zukünftigen jungen Erwachsenen mit mehreren Bausteinen  im Beratungsdienst , Kidstime Workshop als

social event mit psychisch kranken Eltern und ihren Kindern

  • Präventionsarbeit z. B. im Schulprojekt nach „Irrsinnig menschlich“
  • Digitale Beratungsmodelle, Onlineberatung, Videoberatung, digitaler Stammtisch, Hybrid-Gruppen, um auch anders sozialisierten jungen Erwachsenen einen      angemessenen Zugang zu Hilfen zu ermöglichen,  Nutzung von Messengerdiensten       und GesundheitsApps
  • Hauswirtschaftstraining, Kochgruppe, Cafeteria-Betrieb
  • Musiktherapeutische Angebote/Singen
  • Holzwerkstatt
  • Keramikwerkstatt
  • Postkartengruppe
  • Kreative Textilgruppe
  • Frauengruppe
  • Männergruppe
  • Bewirtschaftung eines großen Gartens mit einem Stück Selbstversorgung für das Mittagessen in der psychiatrischen Tagesstätte   Der Gartenhof
  • Ausflugsangebote, Freizeitangebote auf dem Gelände und in der Umgebung
  • Einkaufstraining und Verantwortung für die Gemeinschaft der Tagesstätte zu übernehmen, Reinigungsarbeiten für das Gemeinschaftshaus, handwerkliche Dienstleistungen und Reparaturen im Hause mit dem Charakter von leichtem   Arbeitstraining und sinnvoller selbstwertsteigender Beschäftigung, um für die         Hausgemeinschaft etwas zu tun und gleichzeitig den Selbstwert zu steigern.

Die psychiatrische Tagesstätte „Der Gartenhof“, die  jetzt ihr  25jähriges Jubiläum feierte, ist natürlich einerseits ein offener Treffpunkt, gleichzeitig auch ein Ort, an dem auch junge psychisch kranke Menschen ihre Fähigkeiten ohne Leistungsdruck erproben können.

Auch stundenweise wiederkehrende Tätigkeiten vermitteln die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns. So geht es uns allen. Sie knüpft ein Netz wiederkehrender Verpflichtungen, welches über einen sonst möglicherweise oft leeren Alltag gespannt wird und neuen Lebensmut schaffen kann.

Klaus Dörner, mein früherer Arbeitgeber in Gütersloh und ehemals bekannter deutscher Sozialpsychiater sagt dazu:

„Jeder Mensch will notwendig sein, d. h. , dass jeder für andere Menschen Bedeutung haben will, um daraus eine eigene Bedeutung ableiten zu können.“

Den Begriff Spätmoderne, oder auch Postmoderne verwende ich hier nicht als eine Phase der Nachmoderne, sondern der Bemühungen, Tendenzen und Strukturen der Moderne für die Gegenwart zu reflektieren, also sich selbst zum Gegenstand der Analyse zu machen.

Nach Alain Ehrenberg ist das Erschöpfte Selbst zu beklagen im Zusammenhang mit Risiken der Überforderung und Überanstrengung spätmoderner Subjekte. Erschöpfungskrankheiten wie Depressionen, Burn-Out und psychosomatische Störungen genauso wie Angsterkrankungen gehören zu den charakteristischen Krankheitsbildern dieser Epoche.

Das Individuum ist keine autonome Einheit, sondern ein gesellschaftliches Produkt.

Das Subjekt der Spätmoderne will zwei Tendenzen miteinander vereinbaren, die Selbstentfaltung und gleichzeitig sozialen Erfolg. Erfolgreiche Selbstverwirklichung hat allerdings auch eine sehr ambitionierte und ambivalente Doppelstruktur. Selbstverwirklichung in der Kultur der Spätmoderne ist eng verbunden mit dem Ideal der Authentizität, das bedeutet hier, echt oder stimmig man selbst zu sein und also nicht wie alle anderen. Der spätmoderne Mensch strebt einerseits nach beständiger Valorisierung und andererseits nach Singularisierung seines Lebens.

Valorisierung bezeichnet diesen Prozess, in dem die Individuen jenseits des Bloß-Zweck-Rationalen, des Nützlichen und des Effizienten nach etwas Wertvollen streben, das was Wert für sich hat und bleibt, in ästhetischer Hinsicht und in ethischer Hinsicht.

Singularisierung bezeichnet den Prozess, in dem die Individuen nicht nach dem Gleichförmigen und Standardisierten streben, sondern nach dem Individuellen, dem Besonderen und dem Nichtaustauschbaren. Nur das, was singulär erlebt wird, scheint authentisch. Der Blick nach innen und der Blick nach außen in die Gesellschaft birgt eine Fülle von möglichen Enttäuschungen. Es geht dem modernen Subjekt auch um die performative Selbstverwirklichung. In der spätmodernen Subjektkultur verknüpft sich das Ideal mit der Authentizität  mit dem der Attraktivität, insbesondere aus der von anderen Menschen wahrgenommenen Besonderheit. Hier ergeben sich verschiedene Enttäuschungen angesichts einer wahrgenommenen Diskrepanz zwischen Erwartung und Realität:

  1. Das Romantik-Status-Paradox

Hier setzen Individuen beispielsweise radikal auf die Karte Selbstverwirklichung im Beruf, in der Familie, in der Bildung; sie laufen aber Gefahr, dass ihr sozialer Status, ihre Anerkennung und vielleicht auch ihr beruflicher Erfolg darunter leiden könnte.

  1. Enttäuschungsproduktion durch die intensive Ökonomisierung des Sozialen

Die Ökonomisierung des Sozialen fördert Wettbewerb und Konkurrenz  auch im nicht-kommerziellen Bereich und fördert damit das Phänomen von Gewinnern und Verlierer*Innen, da in der Konkurrenz nicht alle gewinnen können.

  1. Enttäuschungsproduktion durch die Allgegenwärtigkeit von Vergleichstechnologien

Die spätmoderne Gesellschaft und die digitalen Technologien verschaffen dem Individuum Vergleichsmöglichkeiten in einer Systematik und Intensität wie nie zu zuvor und setzen zugleich einen gesellschaftlichen Vergleichszwang, in dem nicht alle mithalten können.

  1. Die Gesellschaft, die Selbstverwirklichungs-Kultur verschafft dem subjektiven Erleben

und dem psychischen Empfinden eine Bedeutsamkeit für das Lebensglück wie nie zuvor. Berufe, Partner, Wohnorte, Lebensentwürfe, die einmal perfekt erschienen, können nach einer gewissen Zeit ihren Reiz verlieren mit wenig entwickeltem Verständnis für Ambivalenzen und einer geringen Ambiguitätstoleranz.

Wenn Sensibilisierung bedeutet, dass das Differenzierungsvermögen zunimmt und immer komplexere Strukturen wahrnehmbar und spürbar werden, dann nimmt auch die Sensibilität für jene Elemente zu, die nicht ins gewünschte Raster passen, etwa die ärgerlichen Eigenschaften des Partners, das subtile Unbehagen am Arbeitsplatz und an Kollegen, sowie die Regungen des eigenen Körpers und der Psyche im weiten Feld zwischen Gesundheit und Krankheit. Das subjektive Erleben wird hier zur zentralen Instanz und entscheidet darüber, ob man ein gutes, gelungenes Leben führt und es so empfinden kann. Es vergrößert sich zwar das Potenzial für Glücksmomente, aber eben auch jenes für Enttäuschungen und in Folge dessen für Trauer, Angst und Wutreaktionen.

  1. Enttäuschungsproduktion, um die typisch spätmoderne Vorstellung, dass das Subjekt in

Bezug auf seine Erlebnisse möglichst aus dem Vollen schöpfen und die gesamte Fülle des Labens auskosten kann, mit dem Wunsch, dieses Ich expansiv und in Lebensentwürfen experimentell zu erweitern.

Selbstverwirklichung heißt immer auch Selbstentgrenzung. Mit einer bemerkenswerten Verzichtsaversion in persönlichen Beziehungen, in Partnerschaft, in Sexualität und Familie stößt dies allerdings vielfach an Grenzen der zur Verfügung stehenden  Ressourcen, der Ökologie, der Lebensmöglichkeiten und der Attraktivität, an die Grenzen harter Regeln des Beziehungsmarktes und natürlich der zur Verfügung stehenden ökonomischen Mittel und Sicherheiten, die wir bisher gewohnt waren und jetzt gefährdet sind.

  1. Enttäuschung durch das Defizit der spätmodernen Kultur im Umgang mit negativen

Unverfügbarkeiten, also generell alle Ereignisse, die sich der subjektiven Kontrolle und Beherrschbarkeit entziehen. Dazu gehören Krankheiten, Tod, Unglücksfälle, Naturkatastrophen, belastende Familienkonstellationen, unglückliche Zufälle im sozialen Leben, begrenzte Möglichkeiten am Arbeitsmarkt, das langsam scheiternde Projekt der Beherrschung der Natur, der Wiederkehr von Krankheiten und Pandemien, aber auch den begrenzten Möglichkeiten, Lebensrisiken abzufangen über Sozialversicherungen und andere scheinbar Sicherheit gebende Instanzen. Das widerstrebt dem Wunsch nach Steuerungs- und Optimierungsansätzen auch der eigenen Seele und des eigenen Körpers.

Hier müssten auch etablierte, wie auch moderne Formen von Psychotherapiebehandlungen sich kritisch reflektieren in Bezug auf die umgebenden und beeinflussenden sozialen Strukturen, in die das Individuum eingebettet ist. Dies müssen wir fortlaufend auch für die Sozialpsychiatrie mit ihren gesellschaftlichen Relevanzen über das Individuum hinaus betrachten. Begriffe wie Empowerment, Recovery, Strukturen der Selbsthilfe, Sozialraumorientierung, Systematische Ansätze der Beratung im Lebensfeld von Menschen weisen auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Leben von Individuen hin.

Cyber Mobbing hat sich zu einem dauerhaften Problem an Schulen und dem privaten Umfeld der Kinder und Jugendlichen entwickelt

Die Folgen von Cybermobbing werden in unserer Gesellschaft immer noch unterschätzt und die Täterinnen und Täter müssen nahezu mit keinen Konsequenzen rechnen.

Nach einer jüngsten Studie aus dem Jahr 2022 sind 16,7% der Schülerinnen und Schüler davon betroffen, in absoluten Zahlen sind das mehr als 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland . Demnach ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler zwischen 8 und 21 Jahren die nach eigenen Aussagen schon einmal von Cyber Mobbing betroffen gewesen sind im Vergleich zur Vorgänger Studie aus dem Jahr 2020  leicht gesunken,  stagniert aber auf einem sehr hohen Niveau.

Die Corona Pandemie hat das Problem deutlich verschärft.

Homeschooling und Kontaktbeschränkungen durch die Corona Pandemie haben dafür gesorgt, dass Kinder und Jugendliche noch mehr Zeit online verbringen , somit werden auch Konflikte häufiger über das Internet ausgetragen.

Neben körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Magenschmerzen sind es vor allem die psychischen Auswirkungen von Mobbing und Cyber Mobbing , die Kinder und Jugendliche schwer belasten können Dazu gehören beispielsweise Angststörungen, Schlafstörungen sowie Niedergeschlagenheit oder Depressionen

Cyber Mobbing Opfer fühlen sich vielfach verletzt , 40% reagierten mit Wut und ein gutes Drittel gab an ,verängstigt zu sein.

Besonders alarmierend ist ,dass  15% der Kinder und Jugendlichen aus Verzweiflung schon mal zu Alkohol ,Tabletten oder Drogen gegriffen haben und fast jeder vierte Betroffene äußerte Suizidgedanken

in absoluten Zahlen entspricht das etwa 430000 Schülerinnen und Schülern.

Wichtige Maßnahmen , um Mobbing und Cyber Mobbing entgegenzutreten,  sind Prävention und Aufklärung ,aber auch Hilfsangebote für den Akutfall beispielsweise durch Krisenchat , durch Beratung,  durch professionelle Fachkräfte und Schulungen für Lehrerinnen und Lehrer.

Insgesamt geht es darum , den sozialen Umgang im Internet zu lernen , eine verbesserte Lehrkraft-Fortbildung ist ein weiterer wichtiger Baustein , Eltern sollten sich intensiver und frühzeitig mit ihren Kindern auf den Weg machen   um sich gemeinsam mit den Inhalten und Funktionsweisen des Internets und den sozialen Medien auseinanderzusetzen .

Zum Schutz der Opfer fordert das Bündnis gegen Cyber Mobbing ein Cyber Mobbing Gesetz, das es beispielsweise in Österreich schon seit 2016 gibt.

Cybermobbing ist ein weithin unterschätztes gesellschaftliches Problem

Die Allgegenwart des Internets verhindert verlässliche Schutzräume und mahnt Handlungsbedarf an.

Jugendliche sind in der kritischen Phase der Pubertät besonders verletzlich und besonders betroffen durch Cyber Mobbing.

Eltern sind überfordert  , Lehrkräfte zu wenig darauf vorbereitet und die Schulen zu zögerlich in der Reaktion darauf und dafür schlecht aufgestellt.

Eine geringe Zufriedenheit mit der eigenen sozialen Alltagssituation verstärkt die Verletzlichkeit von Jugendlichen erheblich.

Prävention muss sich daher auch auf die Lebenssituation jenseits des Internets beziehen und auf den Aufbau von Resilienz gerichtet werden.

In der Elternwahrnehmung fördert die Anonymität des Internets die allgemeine Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen online wie auch offline,  sprachlich,  körperlich bei Jungen wie auch bei Mädchen

Insgesamt nehmen auch die Lehrkräfte in den Schulen ein sehr gewaltbereites soziales Klima unter den Jugendlichen wahr,  welches durch die Anonymität im Internet noch verschärft wird

Themen wie Cyber Mobbing,  Cyber Stalking oder sexuelle Übergriffe werden oft nur in begrenztem Maße von den Eltern wahrgenommen und von ihren Kindern mitgeteilt.

Psychische Auswirkungen bei den Betroffenen:

– Internet Mobbing kann bei den Betroffenen oft deutliche Spuren hinterlassen.

– mit Abstand am häufigsten werden niedergeschlagene beziehungsweise bedrückte Stimmung beobachtet 64%

-die Hälfte der Lehrkräfte berichtet zudem von einem Leistungsabfall in der Schule gefolgt von häufigen Fehlern,  Fehlen vom Unterricht und plötzlicher Verschlossenheit

-als weitere Symptome werden Angstzustände,  Konzentrationsprobleme mit 38% oder auch körperliche Auswirkungen wie Kopfschmerzen und Magenschmerzen mit 37% festgestellt.

-ein Rückzug in andere Welten  wird von 23% und Wut von 19% genannt

Nach wie vor ist es allerdings für Dritte kaum möglich , bei allen Betroffenen die Auswirkungen festzustellen, da sich viele von den Betroffenen oftmals meisterhaft darin verstehen,  sich nichts anmerken zu lassen,  da dies zu ihrer eigens entwickelten Überlebensstrategie in dieser Situation gehört.  Deshalb können wir davon ausgehen,  dass die Dunkelziffer bei Internetopfern höher als vermutet ist, und auch die Folgen,  die daraus entstehen.

Die Internetnutzung von Schülerinnen und Schülern hat sich weiter intensiviert ,  sie verbringen jetzt im Durchschnitt 4 Stunden und am Wochenende knapp 6 Stunden im Internet.  Die Nutzung des Internets und seiner verschiedenen Dienste findet dabei nach wie vor ohne große elterliche Kontrolle statt. Die Verfügbarkeit auch mobiler Geräte wie Smartphones und Tablets versetzen  Schülerinnen fast ausnahmslos in die Lage, über das Smartphone Zugang zum Internet zu finden. Die Nutzung von Messenger Diensten wie whatsapp,  die Nutzung von Videoportalen wie Youtube und tiktok sind als wichtigste Form der Internetnutzung weit verbreitet,  dazu kommt die Nutzung von Musik- und Videodiensten und von Fotoportalen.

Kommunikation und Wunsch nach Austausch sind die wichtigsten Gründe für die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken. Diejenigen Jugendlichen, die mit ihrem Leben weniger zufrieden sind, nutzen soziale Netzwerke häufiger in der Absicht, soziale Kontakte zu knüpfen und Freunde im Netz zu finden.  Mit ihrer Lebenssituation unzufriedene junge Menschen treffen Bekanntschaften aus dem Internet häufiger auch im realen Leben als die Zufriedenen.  Sie begreifen das Internet als Mittel zur Verbesserung ihrer sozialen und emotionalen Lebenssituation,  und sind insofern hier auch besonders verletzbar.  Mobbing im Internet tritt vor allem in Form von Beschimpfungen und Beleidigungen auf, gefolgt von Gerüchten und Verleumdungen,  Betroffene von Mobbing berichten auch häufiger zusätzlich von Ausgrenzung und Ablehnung.  Darüber hinaus kommt es auch vor, dass  Beziehungen,  die im Internet angeknüpft werden, vielfach zu sexuellen Übergriffen im Internet und auch im analogen Leben führen können.

Die Gruppe der mit ihrer Lebenssituation unzufriedenen Schülerinnen ist viel stärker von Mobbing im Internet betroffen als die der Zufriedenen,  sie sind im Internet besonders verletzbar.  Mobbing beeinträchtigt die Lebensqualität,  umgekehrt erhöht eine vorhandene hohe Lebenszufriedenheit von jungen Menschen aber die Resilienz gegen die Folgen dieser Angriffe.

Bei den mit ihrer Lebenssituation unzufriedenen Schülerinnen und jungen Menschen ist der Anteil derjenigen,  die zu Alkohol oder Tabletten gegriffen haben fünfmal so hoch und der Anteil mit Suizidgedanken mehr als dreimal so hoch wie bei den Zufriedenen.  Geringe Lebenszufriedenheit verringert also deutlich die Resilienz gegen die psychosozialen Auswirkungen von Mobbing und Mobbing im Internet.

Für die Gruppe der unzufriedenen Kinder und Jugendlichen  vor allem in Bezug auf soziale Aspekte der Lebenszufriedenheit ist das Internet eine wichtige Quelle,  um jemandem anderem Vertrauen zu schenken und sind dadurch auch stärker von der Meinung anderer abhängig,  lassen sich dadurch leiten und sind deshalb aber tendenziell auch verwundbarer und abhängiger.

So gibt das Internet eine Chance einerseits die Möglichkeit zu neuer Kontaktanbahnung über das Internet,  bedeutet aber auch ein Gefährdungspotential

Bedeutsam sind die Gründe und Wünsche junger Menschen für die Mitgliedschaft in sozialen Medien :

-um sich mit Freunden verabreden zu können

-weil ihnen dort die Menschen und Freundschaften wichtig sind

-weil es alle so machen

– weil darüber viele echte Freunde gefunden werden wollen

-weil man da mitmachen muss , sonst ist man ein Außenseiter

-aus Angst ausgelacht zu werden wenn man nicht mitmacht.

Der Gruppendruck ist allerdings erheblich.

Soziale Medien werden von Schülerinnen auch zu Identitätsfindung und Selbstfindung genutzt, um sich selbst besser kennenzulernen , sich unter Umständen auch ganz anders darstellen zu können als man ist, oder auszutesten,  wie man bei anderen ankommt. Soziale Medien dienen bei einigen Kindern und Jugendlichen allerdings auch der Kompensation von Sorgen und Nöten in der physischen Offline Welt.  Für die Gruppe der mit ihrer Lebenssituation eher unzufriedenen jungen Menschen sind bindungsbezogene Aspekte der Nutzung sozialer Medien dabei generell viel wichtiger als für die Gruppe der Zufriedenen.  So fühlen sie sich oft in sozialen Medien wohler und beliebter als in der realen Schulwelt und in der Welt ihrer Peergroups.  Sie berichten oft auch ,dass sie im Internet Vorbilder für Mode und Aussehen  finden.

Das Internet und der Aufenthalt in sozialen Medien gibt die Möglichkeit , dort vieles vergessen zu können,  was sie bedrückt.  Sie fühlen  sich im Internet  oft total allein , wenn ihnen im analogen Leben gute Freunde fehlen und im Internet bestätigende Likes ausbleiben.

Im Internet beschimpft oder beleidigt zu werden oder Opfer von Lügen und Gerüchten zu sein,davon sind Mädchen etwas stärker betroffen als Jungen.

40% der Schülerinnen wurden sogar unter Druck gesetzt  , erpresst und bedroht und gaben an  , dass Fotos vom eigenen Profil in den sozialen Medien oder aus anderen Online Fotoalben kopiert und dann woanders veröffentlicht wurden.  Bei einem weiteren Drittel der Betroffenen wurden unangenehme und peinliche Fotos oder Videofilme im Internet von ihnen veröffentlicht oder sie wurden Opfer von Fake Profilen. Die meisten Internet Mobbing Angriffe erfolgten über Instant Messaging Dienste wie zum Beispiel whatsapp und den sozialen Netzwerken wie Facebook. Besonders erschreckend und alarmierend ist der Umstand,  dass fast jeder vierte Betroffene Suizidgedanken äußerte und jeder Sechste aus Verzweiflung zu Alkohol und Tabletten gegriffen hat.  Ein Drittel betroffener Schülerinnen gab an , aufgrund von Internetattacken daran gedacht zu haben,  sich das Leben zu nehmen.

Pandemiebedingter Fernunterricht unter starker Nutzung des Internets während der Zeiten des Lockdowns aber auch sonst im ganzen Verlauf der Pandemie reduzierten die Sozialkontakte junger Menschen in der realen Welt zum Teil drastisch.  Fehlender Kontakt wirkt aber stark negativ auf die Empfindung der sozialen Lebenssituation,  führt zu weiterer Unzufriedenheit und kann Aggressionen und die Entwicklung von Depressionen verstärken.

Zusammenfassend kann hier gesagt werden,  dass eine hohe Lebenszufriedenheit junger Menschen auch als ein Faktor der Resilienz gegenüber den Auswirkungen von Internetmobbing angesehen werden kann und dies sollte auch für Maßnahmen zur Prävention berücksichtigt werden

Den Lebensunterhalt verdienen, im Beruf erfolgreich sein

  • Authentische Beziehungen leben, Wunsch nach befriedigenden Beziehungen erfüllen
  • Selbstverwirklichung, Achtsamkeit für sich selbst
  • Verantwortung für Familie, Kinder
  • Verantwortung übernehmen für die hilfsbedürftigen, pflegebedürftigen Eltern
  • Bezahlbaren Wohnraum finden
  • Eigene Alterssicherheiten schaffen
  • Das Rentensystem mit erarbeiten und aufrecht erhalten
  • Bildung und Sozialsysteme einer alternden Gesellschaft mitfinanzieren
  • Sich mit den überholten Ideen des Neoliberalismus ohne Leistungsgerechtigkeit, ohne sichere Aufstiegsversprechen wie früher auseinandersetzen
  • Ökologisch verantwortlich zu leben
  • Die wachsende Geschwindigkeit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, auch der Digitalisierung aushalten, mitgestalten, miterleiden
  • Den Körper, das Aussehen zu optimieren
  • Den Mut für das Altern aufzubringen

All diese Anforderungen,  oft gleichzeitig , sind vielfach Überforderungen für die nachwachsende Generation und sind mit individueller Arbeit nicht wirklich zu schaffen. Echte Arbeit wird allerdings heute auch steuerrechtlich stärker belastet als Geld, das weiter Geld verdient. Hier ist eindeutig die Anforderung zu stellen, dass Kapitalerträge und große Erbschaften höher besteuert werden, damit Ressourcen für Bildung und Sozialsysteme zur Verfügung stehen.

Wir alle haben Ressourcen aus der Zukunft entliehen, einen vielfachen Kredit auch ökologisch aus der Zukunft entnommen, den auch zukünftige Generationen zurückzahlen müssen.

Trotz der vielen sinnvollen Bemühungen um Qualifizierung von Konzepten, therapeutischen Ausbildungen der in der Sozialpsychiatrie Tätigen stellt sich doch die Forderung, dass die Sozialpsychiatrie wieder politischer werden muss:

  • Gesellschaftliche Herausforderung und Zielfelder wahrnehmen
  • Risikopotenzial in der Gesellschaft identifizieren und bekämpfen
  • Ressourcen optimieren durch Prävention, Gesundheitsförderung, letztlich durch Mitgestaltung von Gesellschaftspolitik

Mehr Beachtung in der Sozialpsychiatrischen Arbeit müssen, wie wir schon lange wissen, auch die innerpsychiatrisch benachteiligten Risikogruppen erfahren:

  • Wohnungslose
  • Arme; das Anwachsen von Armut gerade bei Familien und Alleinerziehenden mit Kindern
  • Kinder und Jugendliche in prekären Lebensverhältnissen
  • Angehörige von psychisch Kranken, Angehörige von pflegebedürftigen Menschen
  • Kranke während und nach dem Strafvollzug und forensische Patienten*Innen
  • Immigranten, Asylsuchende, Flüchtlinge mit posttraumatischen Belastungsstörungen

Die Beschäftigung mit stabilisierenden Angeboten für junge Erwachsende erfordert ein Bewusstsein für die auch demokratiegefährdende Konzentration von Reichtum und das Auseinanderdriften gesellschaftlicher Chancen und die Erosion der Solidarität.